Januar 2

Der Klang der Stille

Der indische Architekt Bijoy Jain verwandelt die Fondation Cartier in einen Ort der Andacht. Mademoiselle Lili atmet tief durch. Om!   


Vom lärmigen Boulevard Raspail ist es nur ein kleiner Schritt in eine stille, fast schon sakrale Idylle: Totemartige Skulpturen, Kunst- und Architekturfragmente sind auf dem Boden des Museums gruppiert wie für ein magisches Ritual. Archaische Materialien wie Stein, Ton, Bambus, Holz und Sisalseile, die auf frappierende Weise mit den ästhetischen Codes der zeitgenössischen Architektur des Jean-Nouvel-Baus harmonieren. Der zu begehende Dorfpavillon aus Rattan, der in einem der zwei Hauptsäle aufgebaut ist, wird zu einem schützenden Kokon, der wie ein Fremdkörper aus einer anderen, alten Welt in die kühle Glas- und Stahlarchitektur der Fondation Cartier geschwebt zu sein scheint. 


Bijoy Jain und sein Studio Mumbai sind mit dem Konzept, Tradition und Gegenwart, Stadt und Land, Mensch und Umwelt, in Einklang zu bringen, zum einem der einflussreichsten Architekturbüros der Welt geworden und bauen von Melbourne bis Venedig hybride Gebäude, die so sensibel wie meditativ sind. Sie sind wie gebaute Stille, die den Besucher auf wohltuende Weise umhüllt. „In der Architektur geht es für mich immer darum, auf die Umwelt, die Materialien und die Bewohner Rücksicht zu nehmen. Sie muss alle einbeziehen“, sagt Jain. „Wir alle sind aus Licht, Wasser und Luft gemacht. Dieser Verbundenheit mit den Elementen müssen wir uns täglich bewusst werden.“ 


Januar 3
Januar 3

Der 1965 in Mumbai geborene Bijoy Jain studierte an der Washington University in St. Louis, USA. Er arbeitete bei Richard Meier in Los Angeles und in London, bevor er 1995 nach Indien zurückkehrte. International bekannt wurde er mit seinen Beiträgen zur Architekturbiennale in Venedig sowie mit seiner Installation im Victoria & Albert Museum in London. In Frankreich arbeitet er gerade an der ökologischen Umgestaltung des französischen Weinguts Château de Beaucastel, die dieses Jahr vollendet werden soll.


Wie sich der Architekt seine Vision von einer harmonischeren Welt vorstellt, lässt sich jedoch am besten im Headquarter seines Studios in der indischen Megametropole Mumbai besichtigen: Innerhalb der Mauern eines stillgelegten Lagerhauses, das er in Ateliers und Wohnungen umwandelte, lebt und arbeitet er gemeinsam mit einem kleinen Team von Handwerkern und Kunsthandwerkern, die seine Ideen in die Tat umsetzen: Ein lichtes und durchlässiges Ensemble, in dem Innen- und Außenräume nahtlos ineinander übergehen und der die laute, schnelle Welt hinter den Mauern vergessen lässt. Ein Prinzip, das nun auch in dem modernen Glasbau von Jean Nouvel spürbar wird. 


Es ist keine Architekturausstellung im klassischen Sinne, die Bijoy Jain hier in Paris zeigt, sondern er kreiert im Dialog mit den Objekten anderer Künstler einen sinnlichen Erfahrungsraum, ein Gesamtkunstwerk, einen Ort der Kontemplation – zu durchwandeln im ruhigen Rhythmus des Atmens. 


Bijoy Jain/Studio Mumbai: Le souffle de l’architecte, bis 21. April 2024, www.fondationcartier.com