Alles schön divers hier?


Die Mode lebt nicht mehr in einem Elfenbeinturm. Mit der Woke-Ideologie ist die Politik dort längst angekommen. Mademoiselle Lili hängt sich mal aus dem Fenster.


Die Welt, in der wir leben, wird immer absurder. Kurz vor der Fashion Week in Paris, letztes Jahr um diese Zeit, griff Russland die Ukraine an. Was kein vernünftiger Mensch mehr für möglich gehalten hätte, Bomben und Krieg in Europa, ist immer noch wahr gewordener Alptraum. Auf den Laufstegen ging fast alles weiter, als wäre nichts gewesen. Schließlich kann man keinen Krieg stoppen, wenn man aus Protest kein neues Chanel-Jäckchen mehr zeigt. Nur Demna, der georgische Designer von Balenciaga, zeigte deutlich Flagge. 


Wie eine Bombe hingegen schlug das Sweatshirt ein, das der schwarze Ye alias Kanye West auf der letzten Fashion Week trug. Darauf stand: White Lives Matter. Was für ein atomarer Erregungssturm die Modewelt da erfasste! Oh Ye, so what? Eine durchsichtige Provokation. Das machen halt Künstler so, um sich ins Gespräch zu bringen und „zum Nachdenken anzuregen.“ Kurz darauf kündigte Kering, Eigentümer von Balenciaga, Ye für immer die Freundschaft. Auch Adidas und Gap. Dabei hatte Demna ein paar Tage zuvor mit seinem alten Kumpel die Balenciaga-Schau eröffnet. Ye war lange hofiertes Lieblingskind der weißen Modewelt: Weil er cool war, weil er schwarz ist und weil er mit seiner populären Musik eine Brücke schlug zu einer neuen Zielgruppe. Nun ging als erster diverser Super-Gau in die Modegeschichte ein. Total übertrieben, fand ich erst. 


Warum darf ein Schwarzer nicht sagen, das weiße Leben auch zählen? Da wusste ich noch nicht, dass der Spruch in den USA auch der Name einer Neonazi-Bewegung ist. Und dass Ye sich auch sonst als eine verstrahlte Hohlbirne entpuppte: Mit Tweets und Interviews ist er binnen kurzer Zeit in so jedes der vielen Fettnäpfchen getreten, welche die politische Korrektheit aufgestellt hat. Ein moralisches Korsett, das sich besonders die Mode auferlegt.

Woke ist en vogue. Diversität das Gebot der Stunde. Schaue ich heute auf die Laufstege und Eventgäste, sehe ich vor meinem geistigen Auge die Veranstalter eifrig Statistik führen: Haben wir auch genug Afrika? Check. Asien? Check. Transgender? Check. Body Positivity? Check. Besonders bei Events in der Villa der Marke Karl Lagerfeld tummeln sich stets die flamboyantesten Wesen (siehe Fotos). Die globalisierte Modeindustrie arbeitet sich brav an der Woke-Ideologie ab, um für alle tragbar zu sein und nicht ins Kreuzfeuer der verschiedenen Lager zu geraten.


90 Jahre nach seiner Gründung hat Nina Ricci als erstes der großen Pariser Modehäuser mit Harris Reed einen genderfluiden Kreativdirektor verpflichtet. Das talentierte Londoner Wunderkind, das erst 2020 sein Modediplom machte und im selben Jahr schon von Vogue-Chefin Anna Wintour einen Cover-Auftrag bekam, wird während dieser Fashion Week seine erste Kollektion für Nina Ricci zeigen. Ich bin gespannt, wie die „non-binäre Romantik“, für die er steht, wohl aussehen wird. Und vor allem, wie sie zu einem französischen Traditionshaus und seiner treuen weiblichen Kundschaft passt.