PIERRE & GILLES

Ein Himmel voller Stars

Ihre Fotomalereien sind wie schluchzende Geigenmusik: Die Philharmonie von Paris zeigt Pierre & Gilles und Mademoiselle Lili greift sich ans Herz. 


An dieser Stelle seien Geheimnisse verraten. Ein Grund, warum ich mich so in Paris verliebte, waren diese Künstler. Damals vor langer Zeit kreuzte ich als Austausch-Studentin in Paris ständig ihren Weg: Wir liebten dieselben Clubs, dieselben schrägen Typen und dieselbe Leidenschaft für Jesus-Postkarten mit 3-D-Effekt, Plastikmadonnen mit blinkenden Herzen in der Brust und illuminierte Brunnen, bei denen den Heiligenfiguren darin Wasser in die Augen gepumpt wurde, auf dass sie ständig weinten. Meine Sammlung war schon ansehnlich, aber die Loftwohnung von Pierre & Gilles war das Versailles der Kitsch-Devotionalien. Ich war hingerissen von den beiden und ihrer Kunst. Damals waren die beiden ein Underground-Phänomen der Pariser Schwulenszene und noch nicht die berühmten Künstler, die sie heute sind, zu Gast in den großen Museen dieser Welt – von New York bis Tokio. Meine ersten Artikel als Kunstkritikerin schrieb ich über sie und war dabei, als sie Nina Hagen mit Freund und Baby als heilige Familie inszenierten, in ihrem Kellerstudio im Vorort Le Pré-Saint Gervais. 

Dass nun auch die Philharmonie von Paris, dieses spektakuläre Bauwerk mit der silbrig schimmernden Außenhaut – ein Mosaik aus 340.000 stilisierten Aluminiumvögeln – den Künstlern eine große Einzelausstellung widmet, ist mehr als konsequent: Musikerporträts gehörten von Anfang an zu den Konstanten ihres Werks, mit dem das Paar seit 1976 die zeitgenössische Porträtfotografie revolutionierte, in dem sie Kitsch, Sentimentalität und den Geist von „Camp“ museumsfähig machten. In ihrem Universum werden alle zu Heiligen: Die namenlosen Lümmel aus den Pariser Clubs und die berühmten Musik-Stars, die wie Götter angehimmelt werden.  

In der Ausstellung, konzipiert als akustisch-visuelle Installation, trifft sich erstmalig vereint fast das gesamte musikalische Pantheon der letzten 40 Jahre: Musiker, deren Songs ihr Leben begleiteten und als dessen Fans sich die Künstler mit liebevollen, farbenfrohen und bis zu überirdischer Schönheit gesteigerten Porträts outen. Es ist Gilles‘ Pinsel, der jeden Teint nachträglich auf dem Fotoabzug so perfekt übermalt, wie das heute Selfie-Filter auf Smartphones nicht mal ansatzweise hinbekommen. Von Etienne Daho bis Stromae, von Sheila bis Eddy de Pretto, von Sylvie Vartan bis Nina Hagen, einschließlich Claude François, Marilyn Manson, Boy George, Madonna, Lio und Michael Jackson reicht die Parade der hier versammelten Musikgötter. 

Nur zwei meiner persönlichen Musikikonen haben sie nie porträtiert: Prince, den ich buchstäblich in meiner Haut trage und David Bowie, dessen Musik mich nach Berlin lockte. Warum sie fehlen, muss ich Pierre & Gilles unbedingt noch fragen. 

„Pierre et Gilles – La Fabrique des Idoles, bis 23. Februar 2020 in der Philharmonie Paris